Volltext |
Über Nacht sind wir zu Wasser worden; der Park ein trüber See,
das Gartenhaus schwimmt darin, Hunde heulen. Wir, vom Bürgelstein, der einst eine
römische Schanze war, beschützt, sitzen noch trocken, doch abgesperrt: an beiden
Enden ist die Straße bespült. Wir gondeln. Salzburg macht sich übrigens als
Klein-Venedig sehr gut; es wäre verwässert fast noch schöner. Die Salzburger
freilich hätten es doch schwer, sich so rasch in Venetianer zu verwandeln. Nie
wurde mir der Unterschied zwischen unserer Art, unserer vielleicht gar nicht so
sehr wesentlich angestammten als erst allmählich anerzogenen Art und der welschen
so sichtbar! Noch aus der Römerzeit her ist der Welsche gewohnt, öffentlich zu
leben: auf der Straße fühlt er sich daheim, sie gehört ihm, jedem gehört sie. Wir
aber haben jahrhundertelang nur privat existieren dürfen: draußen, sobald einer
aus seinen vier Wänden tritt, untersteht er schon dem Schutzmann, bei uns gehört
die Straße der Polizei. Weshalb unsereiner, wenn er eines Morgens keine Straße
mehr vorfindet, sondern Wasser, zunächst gebührlich nach der Polzei ruft und auf
die Polizei schimpft. Statt selber zuzugreifen, selber anzufassen, sich selber zu
helfen, fragt er, warum denn der Bürgermeister nicht schon gestern, wo man doch
schon hätte voraussehen können, veranlaßt hat, vorgesorgt hat, und so weiter.
Selber vorzusorgen, selber zu veranlassen, selber Bürgermeister zu sein, selber im
eigenen Kreise, fällt keinem ein: wir durften es doch noch nie; es ist uns doch
auch verboten gewesen, selber zu sein, jahrhundertelang! Rührend wars, mit welcher
Geduld die nassen Leute standen, ergeben wartend, ob nicht vielleicht doch ein
Schiff kommen wird, und rührend, in welcher Ordnung sie sich, als dann wirklich
doch ein Schifft kam, gehorsam einschiffen ließen. Es gibt vielleicht in der
weiten Welt kein größeres Volk mit soviel Talent, Leid zu tragen! Ich aber malte
mir indessen unwillkürlich das Theater aus, zu dem Italienern eine solche
Gelegenheit doch sogleich den willkommensten Anlaß gegeben hätte. Denn es liegt ja
nicht bloß daran, daß wir seit Jahrhunderten immer nur zur stillen Ergebenheit in
alles, was mit uns geschieht, erzogen wurden, niemals aber, selber nach eigenem
Sinn mitzutun, niemals, uns selber zu helfen, niemals, selber unser Schicksal zu
kommandieren, sondern offenbar schon unserem Blute fehlt die welsche Lust an der
Improvisation des Lebens! Auch aus jeder Not selbst holt der Italiener sich im
Handumdrehen sogleich ein Fest, in dem selber mitzuspielen, sich zu zeigen und
durch seinen Reichtum an eigenen Einfällen vor allen hervorzutun jedem in der
Menge soviel Vergnügen macht, daß die Gefahr schnell vergessen und es nur noch ein
öffentliches Schauspiel ist, das alle sich selber um die Wette genießen läßt,
während wir doch selbst bei Festen noch auf strenge Sondierung der Festspiele vom
Publikum dringen. So verhalten wir uns auch öffentlich immer nur als Publikum, das
bloß zuzuschauen, nicht aber mitzuspielen hat, während den Italiener auch Theater
sogar erst dann wirklich freut, wenn der Zuschauer mitzuspielen beginnt. Ob es uns
aber wirklich schon im Blute liegt, öffentlich immer nur Zuschauer zu bleiben, ob
wir wirklich geborene Zuschauer des Lebens sind? Ich weiß nicht. Eigentlich kann
ichs nicht glauben. Wir hatten doch das Barock. Wir waren doch einst barock. Und
ganz wir waren wir doch nur, als wir noch barock waren. Und daß am großen Spiel
vom Menschen die ganze Menschheit bis auf den letzten Mann, er sei nun, was er
sei, mitzuspielen hat, ist doch der Lebenssinn des Barocks gewesen. Wann aber und
wodurch dann der große Bruch kam, unser innerer Knacks, durch den unser Volk zum
bloßen Zuschauer des Daseins geworden ist, das habe ich noch immer nicht
herausgebracht, weil doch österreichische Geschichte, die innere, die
Herzensgeschichte Österreichs ja noch niemals geschrieben worden ist. | |