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Seit Burckhard fortging, ist mir kein Abschied mehr so schwer
geworden wie von Willi Handl. Da zerbricht mir der reinste Spiegel; keines anderen
Freundes unbestechlicher Blick gab mir je mein Bild heller durch Neigung verschönt
zurück! Was sich so gemeinhin Freund zu nennen pflegt, das will doch immer etwas
mit uns, wenn es nicht gar von uns etwas will; es zerrt nur an uns herum. Er aber
war mir so von Herzen gut, daß er mich gelten ließ; er nahm mich hin. Doch einen
Menschen hinzunehmen, und freudig, nicht mit einem duldsamen Achselzucken bloß,
sondern mit der verstehenden Kraft immer bereiter, niemals eifernder Liebe, das
ist fast übermenschlich. An die dreißig Jahre kannten wir uns und gleich hatten
wir uns so rein erkannt, daß das Verhältnis immer dasselbe blieb; wir hatten gar
nicht erst not, einander zu sehen, einander auch nur zu schreiben; das Gefühl,
einander zu haben, war uns genug. Ich wurde rasch immer älter, er blieb immer
jung, denn er war ein geborner Jüngling. Deshalb hat er vielleicht auch so bald
fort müssen. Willi Handl als alter Herr, nein, es wäre wirklich undenkbar. Er
hatte was vom ersten Morgenwind, so heimlich, eilig und gelind! Es muß gut zwanzig
Jahre her sein, daß ich einmal, in die Berggasse biegend, auf ihn stieß; es ist
mir unvergeßlich bis auf den heutigen Tag: er flog mit seiner jungen Braut einher,
sie wirbelten nur so dahin in ihrem flüggen Glück und waren, kaum daß sie mich
winkend angeblitzt, schon wieder lachend weg, wie von ihrer eigenen Seligkeit
verweht, während ich, damals doch selber noch eher ein Fant, ihnen lange nachsah,
fast ein bißchen neidisch; noch heute seh ich die zwei durch die Luft sausen,
dahin und davon, ein tanzender Stern! Und nun gefiel es dem Schicksal aber, das so
grausame Proben liebt, diesen Morgendwind, diesen Sternenglanz in die Fron des
Journalismus zu spannen: Ariel als Prager Korrespondent der »Neuen Freien«! Ein
Dichter ging damals verloren. Aber vielleicht überschätzen wir das, ob ein Dichter
zum Dichten kommt. Vielleicht weiß das Schicksal schon, was es will. Vielleicht
hat das Schicksal im Grund immer recht. Denn die heitere Würde, mit der er in
dumpfer Enge doch immer auf seiner stillen Höhe blieb, nichts Äußeres bis an sich
selbst kommen und durch kein aufgedrungenes Ungemach sich im holden Wohllaut
seines immer dankbaren Gemüts jemals stören ließ, der lächelnde Mut zum Leben, zu
jeder Art Leben, das sichere Gefühl des eigenen Werts, das alles wies ihm einen
Rang an, den man auch durch die schönsten Gedichte nicht erreicht. Niemand mehr
als er hat mir den Verdacht bestätigt, von allen Künstlern sei doch, wer, statt
sich erst an allerhand abgesonderten Gestalten zu verzetteln, den sogenannten
»Werken«, lieber gleich dem Leben selber seine Gestalt gibt, der höchste. Und er
blieb sich treu, ich habe nicht viele gekannt, denen ich das nachsagen kann. Und
ich habe keinen gekannt, in dem sich die schönsten Gaben des Wieners, des echten,
von der jetzt aussterbenden Art, anmutiger gesellten: der unbestechliche Blick
fürs Echte, liebevoller Spott, Heiterkeit bei tiefem Ernst, gewissenhafter
Leichtsinn, Urteil, das sich nicht rühren, mit Güte, die sich durch das Urteil
nicht beirren läßt, so sicheres Selbstgefühl, daß es auf jede Bestätigung durch
Applaus oder Erfolg verzichten kann, Ehrfurcht vor den Geheimnissen um uns, Lust
an den Erscheinungen, Leid an der durchschauten Eitelkeit der Welt, das sich aber
nicht viel daraus macht, und selbst bis in den Alltag hinein noch eine Nähe
tragischer Empfindung, ja tragischer Erkenntnis des uns verkettenden Trugs, bei
der einem zuletzt wirklich nichts übrig bleibt als geschwind noch, bevor es uns in
der Hand zerrinnt, mit diesem lächerlichen lieben Nichts unseres ach! wie dummen,
aber ach! so schönen Lebens ein bißchen zu spielen. Er hätte noch in der Ecke
eines Stifter- Romans gute Figur gemacht. Er war einer von den letzten
Österreichern; sie haben sich in Berlin ja noch am ehesten erhalten. Und wenn es
erst gar keinen mehr geben wird, bemerkt Europa vielleicht, daß doch eigentlich
schad um sie ist. | |